Dienstag, 14. Februar 2012

Bericht von der Brocken-Challenge BC2012 am 11.02.2012

Kurzinfo:
"Kalt - Hart - Schön", 80-km-Wohltätigkeitsultra auf den Brocken, 1900 hm, erreiche das Ziel als Vierter in 8:28 h, Glücksgefühle pur!

Bericht:
Es ist Freitag, 16 Uhr und ich sitze im Regionalexpress nach Göttingen. Der Tag begann sehr früh mit einem lockeren 11-km-Lauf kurz vor 6, das wird mir heute Abend zu einem tiefen und erholsamen Schlaf verhelfen. Und das ist verdammt nötig. Denn vor mir liegt der härteste Winterultra Deutschlands, fast zwei Marathons hintereinander durch Schnee und Eis, von Göttingen durch das Harzvorland bis auf den höchsten Gipfel Norddeutschlands, den Brocken (1142 m). Während der Zugfahrt höre ich Musik, bin völlig entspannt, gehe die kommenden 24 Stunden in Gedanken durch, denke an mein von Lücken gekennzeichnetes Training der letzten Wochen, aber über allem liegt: Vorfreude!
Als ich am Bahnhof ankommen, suche ich den Bus zum Universitätsgelände, wo die obligatorische Vorbesprechung statt findet. Mir fällt ein Kerl mit Rucksack und in roten Trailschuhen auf, na klar, den ersten BCler habe ich gefunden. Am Bussteig stoßen noch drei weitere hinzu, überpünktlich gelangen wir zur Beprechung, bei der die wichtigsten Eckdaten der BC noch einmal erläutert werden (Strecke, Wetter, Versorgung, Handynummern, Verhalten, etc.) und ein paar Vertreter der Spendenempfänger zu Wort kommen, z.B. ein Kinderhospiz. Plötzlich ist ganz egal, wie sehr wir morgen frieren oder leiden werden, es ist nur ein blasser Schimmer verglichen mit dem Leid von Kindern, welche sterben werden. Man kommt sich manchmal so klein vor..

Letzte Details zum Lauf, Einstimmung und Hintergründe


Mit der Startnummer wird auch ein Spendenbeleg ausgegeben, da die BC alle Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt. A propos, die BC kostet 85 Euro, also ca. ein Euro pro Kilometer. Dieser Preis geht auch völlig in Ordnung, dazu später mehr.
Wir fahren nun alle ein Stück weit in den Göttinger Stadtwald, hier finden wir unsere Nachtquartiere. Geschlafen wird rustikal unter und neben den Tischen einer Kneipe, an denen man gerade sein Abendessen nahm (u.a. leckere vegetarische Bolognese und Salat) oder im warmen Keller.

"kalt - hart - schön"

Der Wecker wird auf 04:30 Uhr gestellt, da es ab 5 Uhr Frühstück gibt. Allerdings in einem anderen Gebäude, also muss vorher gepackt werden etc. Scheinbar weckt dann am Morgen meine "bitter sweet melody" auch alle anderen Läufer, langsam erhebt sich die Meute. Ich fühle mich topfit und ausgeruht, hungrig wie ein Bär und laufgeil wie ein Hamster vorm Laufrad! Die Startnummer wird ans Bein gepinnt und los geht es zum Frühstück in den kalten Tanzsaal.



Es gibt warme Brötchen, Süßes, Herzhaftes, Gemüse, Tee und Kaffee - von allem genug! Wir müssen uns nun in Listen eintragen, um keine Läufer auf der Strecke zu "verlieren" bzw. auch um nicht umsonst im Harz nach Leuten zu suchen, die gar nicht am Start waren. 
Es ist jetzt kurz nach sechs, die fröstelnde Meute von 143 Verrückten steht am Start, fast jeder mit Rucksack und Stirnlampe, es sind etwa -13 Grad. Mehrere NDR-Kamerateams sind die ganze Zeit dabei und werden uns heute häufiger belauern (am 10.März um 17 Uhr kommt die halbstündige Reportage zur BC2012). Der Organisator Markus stellt sich nun auf einen kleinen Fels und spricht die Zauberformel "Brocken-Challenge 2012 - Here We Go!". Das ist der START!

Markus Ohlef gibt das Startsignal

Die ersten Kilometer sind teils sehr stimmungsvoll mit Fackeln markiert und wir rollen recht zügig durch die Nacht. Von km 6 bis km 10 haben wir eine Pace um die 4:30, eigentlich zu schnell für einen verschneiten, frostigen Waldweg und noch mehr als 70 km vor uns. Aber hey, so ist es doch immer, oder? :-)
In meinem Rucksack habe ich eine Thermoskanne mit etwas Wasser, die Yaktrax-Schneeketten für die Schuhe, Salztabletten, Rettungsfolie, acht Kohlenhydratgels, Sonnenbrille, Geld, MP3-Player, Merino-Unterhemd und Fleecepullover für den Notfall, Handy sowie ein paar Unterlagen zur Strecke und die Liste mit wichtigen Handynummern. Auf die Benutzung des Trinksystems habe ich gleich verzichtet. Bei diesen Temperaturen wäre eh alles gleich eingefroren und nach allem, was ich von anderen hörte, war das eine gute Idee. Wir laufen Kilometer um Kilometer, genießen das Erwachen des Tages in den ersten zwei, drei Stunden. Meine Entscheidung, eher weniger Kleidungsschichten als zuviel anzuziehen und damit das Risiko einer leichten Unterkühlung dem Risiko des Schwitzens und damit einer schweren Unterkühlung vorzuziehen, erweist sich als richtig. Ganz frei heraus kann ich sagen, dass ich mich während des gesamten Rennens pudelwohl in meiner Haut fühle (abgesehen von Lausebuche, dazu später). Gefühlte Temperaturschwankungen reguliere ich über das An- u. Ausziehen der Handschuhe, das genügt.

Sieht kälter aus als es sich anfühlt, -15 Grad bei km 27

An allen Versorgungsstationen werden wir herzlich empfangen, die Helfer stehen selbst in der klirrendsten Kälte und haben nur unser Wohl im Kopf - noch einmal riesigen Dank für Euch!! Gefrorene Bananen werden kurzerhand im warmen Tee aufgetaut, an jeder Station esse und trinke ich reichlich, vertrage alles hervorragend (wie immer: Saumagen).
Sehr gut gelaunt erreichen wir nach ca. 3:45h die Marathondistanz in Barbis. In vielerlei Hinsicht ein kritischer Punkt des Rennens.

Eintreffen in Barbis, km 42


Die Sonne kommt raus, wir machen Faxen.

Zum Einen markiert Barbis etwa die halbe Strecke zum Gipfel. Hier endet auch der Marathon und der Ultra beginnt. Darüber hinaus befinden wir uns in Barbis trotz einiger absolvierter Berge erst auf knapp 300 m über Null und 80% der Höhenmeter des Rennens liegen noch vor uns. Aber auch für mich persönlich ist Barbis wichtig, da ich nach kurzem Auftanken (Banane, Orangenviertel, Gel, vier Stück Schokolade, viel Tee, Malzbier, zwei Müsliriegel) weiterlaufe und nicht auf die anderen aus der Gruppe warte, welche hier Schuhe und Socken wechseln, die Rucksäcke nachfüllen etc. Bereits nach zwei Minuten des Stehens fängt man an zu frieren, ich MUSS jetzt einfach weiter!
Das nun folgende steile Stück trägt den schmeichelhaften Namen "Entsafter" und wird diesem voll gerecht: 430 hm auf 11 km und von belaufbarer Strecke keine Spur! Es ist schon irrwitzig, man eiert wie eine alte Fregatte im Sturm von links nach rechts, versinkt ständig im Schnee. Man kann es mit Strandlaufen vergleichen, aber in steil. Es ist unbeschreiblich, ich fluche .... und muss gehen. Dazu fängt es wieder an zu schneien. Ich bin allein. Es beginnt, archaische Züge anzunehmen, zum ersten Mal krame ich hier mein spezielles BC2012-Mantra hervor und kämpfe mich damit den Berg hoch... "wie eine Maschine..".

Einsamkeit vor dem "Entsafter"

Trotz einer weiteren Teestation bei km 53 scheint meine Getränkestrategie nicht aufzugehen. Ich habe zunehmend Durst ab km 55. Die häufiger werdenden Sonnenstrahlen helfen mir jetzt nicht weiter. Ich bekomme unvermittelt Nasenbluten. Hm, was soll das denn jetzt?! Naja, irgendwie geht es schon, aber ich muss ziemlich fertig aussehen, als ich endlich die Station "Lausebuche" bei km 63 erreiche. Gleich kommt eine Ärztin zu mir und baut mir einen Stöpsel für die Nase. Besorgte Gesichter, aber mir gefällts hier. Es gibt reichlich zu essen und zu trinken, sogar Suppe, von der ich mir reichlich mit auf den Weg nehme. Die Zeit vergeht wie im Flug und erst als nach ca. einer Viertelstunde an der Station (!) der nächste Läufer eintrifft, raffe ich mich wieder auf. Ich frag noch kurz nach dem Weg, die Frau zeigt mir grob die Richtung gerade über die Straße, ich denke zu wissen, wo es lang geht und schon bin ich unterwegs. Leider auf dem Holzweg. Nachdem keine BC-Beschilderung mehr zu sehen ist, und auch die GPS-Uhr ständig Alarm gibt ("Streckenabweichung!"), ist es klar: Verlaufen. Allerdings ist das Netz von Wanderwegen hier recht dicht und ich kann nach ca. 1,5 km Umweg die Strecke wieder erreichen (ich lief versehentlich die als "Langstrecke" bezeichnete 81,5-km-Distanz, wie ich später anhand des GPS-Tracks sah). 
Doch der Umweg war aktuell nur mein zweitgrößtes Problem, da der lange Aufenthalt in Lausebuche mich völlig ausgekühlt hat. Weder kann ich meine Uhr bedienen, noch den Rucksack richtig aufsetzen, geschweige denn vorn schließen. Meine Finger sind taub und nutzlos. Handschuhe und Jacke hart wie Stein. Nur noch das Laufen geht schmerzfrei, immerhin.
Zum Glück kommt bereits nach sechs km wieder eine Station, hier trinke ich nur schnell etwas Warmes, nehme Schokolade und renne weiter. Weiter, weiter, mir gehts schon wieder besser. Was nun kommt, diese letzten zehn km kann ich nur schwer mit Worten beschreiben. Mein Körper wird jetzt wieder warm, ich bin nun auf über 800 m, der Himmel ist tiefblau, keine Wolke mehr am Himmel! Rings um mich vergnügen sich Skilangläufer und Schlitten fahrende Familien, fremde Menschen, die mich anfeuern. Mein Körper schöpft Kraft, ich könnte schreien vor Glück! Den Jungs am letzten Versorgungsstand bei km 72 hätte ich glatt um den Hals fallen können, so gut war ich drauf, denn ich wusste: DAS SCHAFFE ICH HEUTE! Noch immer war kein Krampf weit und breit zu spüren, keine Blasen an den Füßen und das Beste: Ich hatte Spaß! Die Landschaft sah atemberaubend aus mit den schneebedeckten Nadelwäldern, dem mächtigen Brocken, dem blauen Himmel, nun nach all den Anstrengungen der letzten 8 Stunden, musste ich meine Freude raus schreien. Die Gedanken strömen nur so durch den Kopf, irres, euphorisches Zeug. Es ist so ergreifend! Nur auf diese Art sollte man den Brocken besteigen, wie Goethe, zu Fuß! Wie lautet doch das Motto der BC? "Von der Gewalt, die alle Menschen bindet, befreit DER Mensch sich, der sich überwindet" (Goethe). In den Seelen dieser Läufer gibt es jetzt keine Gewalt, keine unsinnigen kleinen Gedanken. Hier und jetzt, wo 143 Menschen, Träume, Dialekte, Trainingspläne auf dem Brocken wie Fäden zusammenlaufen, da wird alles klar, stark, deutlich und friedlich - wir sind wie eine Familie. Freudentränen. Fremde Menschen, die mich anfeuern.
Etwa einen km vor dem Ziel überhole ich noch einen Läufer, der es schwer hat. Dann, überraschend, ca. 300 m vor dem Ziel, hole ich Frank Kleinsorg ein, Mitorganisator und Rekordhalter auf der Langstrecke der BC, wir unterhalten uns, Frank will bis zur letzten Kurve gehen, dann ins Ziel laufen. Wir beobachten zwei Heißluftballons, die sehr schnell über unsere Köpfe sausen (Windgeschwindigkeit am Brocken ca. 70 km/h). Dann fangen wir zu laufen an, auch weil von hinten der Läufer noch mal angreift, Zieleinlauf!

Gut gelaunt im Ziel - toller Tag!

Für uns Läufer ist ein eigener Restaurantbereich reserviert, wir können duschen und essen. Auch eine Massage bekomme ich - danke an Rado! Mein sehr gutes Abschneiden, direkt hinter Matthias Dippacher (!) überrascht und beschämt mich etwas, da mein Trainingsstand subjektiv nicht optimal war. Ganz klar kam mir die Kälte entgegen, das liegt mir einfach.
Alles in allem ein großartiger Lauf, ein unvergessliches Erlebnis und jeden Pfennig wert. Der Tag endet mit einer längeren Zugfahrt und einem Zwischenstopp in Hasserode, wo ich meinen Tank wieder auffülle... :-)

1 Kommentar:

  1. Klasse Bericht von einem irren Lauf. Hier wird mir klar, ich muß nicht überall laufen.

    Jörg

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